Liebe Brigitta Quast, lieber Harry Sinske, liebe Kunstfreundinnen und Kunstfreunde,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
In dieser Ausstellung mit dem Titel „Opus est…“
lernen wir heute zwei Künstler – BRIGITTA C. QUAST und HARRY
R. SINSKE – von einer neuen Seite kennen. Von beiden gibt es
Arbeiten im Skulpturengarten: das Klangobjekt von Brigitta Quast, das
mit seinen feinen an Schnüren aufgehängten Nägeln das
Element Luft und seine Wirkung im Wind als Bewegung ins Spiel bringt
und die „Poker-Zwinge“ von HARRY R. SINSKE, die das
bildhauerische Grundthema von Tragen und Lasten der vertikal wirkenden
Anziehungskräfte um den Aspekt des horizontalen Kräftespiels
von Druck und Gegendruck bereichert.
Die Arbeiten in der Galerie ergänzen und erweitern die durch die Außenarbeiten angerissenen Themen. Wenn im
Außenraum durch das Klangobjekt das Thema „Element Luft“ gesetzt ist, begegnen wir im Innenraum seinen drei
Geschwistern: Feuer, Wasser und Erde. Wir haben hier also einen komplex
gestalteten Raumzusammenhang vor uns, der eine intensive Wirkung auf
uns ausübt. Ich möchte in meinen nachfolgenden
Ausführungen versuchen, aufzuspüren, auf welche
Gestaltungselemente diese Wirkung zurück zu führen ist und
welche Gedanken daraus abgeleitet werden können.
Von BRIGITTA C: QUAST sehen wir hier einige Bilder in ihrer speziellen,
auf Lasuren und Schichtungen aufbauenden Maltechnik, die den Raum mit
einer erregenden Farbenergie aufladen. Obwohl einige der abstrakten
Bilder auf den ersten Blick und aus der Ferne monochrom wirken,
entfalten sie bei der näheren Betrachtung ihren ganzen Zauber. Da
kann das Auge in diesen Flächen wie in einer Landschaft spazieren
gehen, da zeigt sich, dass diese scheinbare Einfarbigkeit
überhaupt nicht ein-tönig ist, sondern sich aus vielen
lasierenden, durchscheinenden, manchmal auch opaken Schichten zusammen
setzt. Manchmal sind die Farboberflächen glatt schimmernd und matt
glänzend, manchmal auch schrundig, wie vom „Zahn der
Zeit“ angeknabbert. Diese Schichttechnik gibt den Bildern ihre
vibrierende Ausstrahlung.Quast hat einen Auswahl von Bildern in blau-
und Rottönen getroffen, die in den letzten zwölf Jahren
entstanden sind. Wie in den strahlenden Blöcken stehen sie sich
gegenüber und hüllen den Betrachter in einen
spannungsgeladenen Farbraum ein. Auf der einen Seite erregen die
luziden Blau-Vibrationen, die uns mit ihrer durchsichtigen Tiefe in
weite Fernen schauen lassen, unsere Aufmerksamkeit; auf der anderen
Seite versuchen uns die glühenden Röten mit ihrer
Feuerenergie abzulenken – ein wildes Spiel der Elemente.
Zwischen diesen massiven Konzentrationen an Farbenergie öffnet
sich ein schmaler unsichtbarer Korridor und lenkt den Blick auf ein
kleines strahlendes Kraftzentrum an der der Einganstür entgegen
gesetzten hinteren Galeriewand. Dort schimmert eine mit Blattgold
belegte, nahezu quadratisch geformte Fläche aus der Tiefe des
Raumes und reflektiert und verstärkt jeden noch so schwachen
Lichtreflex.
Das Gold repräsentiert dabei auch noch die dritte Grundfarbe,
sodass wir hier also auch den elementaren Grunddreiklang der
Farbenlehre „Blau-Gelb-Rot“ verwirklicht sehen. Und wie
eine visuelle Bestätigung dieser Beobachtung leuchtet unter der
goldenen Fläche ein kleines frisches Grün, also eine Mischung
aus Blau und Gelb - wie ein Stück duftende Sommerwiese mischt sie
sich in das Konzert der Elemente, das mit dem mal zarten, mal
intensiven Blau die Farbe des Wassers und des Himmels (bzw. der Luft)
einbringt.
Nun haben wir mehrfach von Wasser, Feuer und Luft gesprochen – es
fehlt uns noch der Aspekt „Erde“, um das Quartett der
Elemente zu vervollständigen. Oder – um es anders
auszudrücken – zu den unfassbaren, flüchtigen Elementen
wie sie Feuer, Luft und Wasser darstellen, muss noch die
„Erdung“ kommen, die ganz unzweifelhaft HARRY R. SINSKES
Metier und Angelegenheit ist.
In seiner Arbeit „gesetzter Wimpel“ bildet ein
auffällig geformter, granitener Pflasterstein das präsente
Zentrum der
Arbeit, deren Basis von einem halbkugelförmigen Sockel aus
Betonguss gebildet wird. Aus dem Beton-Sockel ragt ein etwa ein Meter
langer, naturfarbener und glatt gehobelter Holzstock. Der Pflasterstein
wird trotz seiner sichtbaren Gewichtigkeit von einem um den Holzstock
geschlungenen Seil gehalten, das unterhalb des Steines mehrmals um den
Stab herumgeführt wird und dessen langes Ende mehrmals
zusammengeschlungen auf dem Boden liegt, so als habe der Errichter des
„Wimpels“ erst kürzlich nach der Markierungsaktion den
Schauplatz verlassen. Von diesem Pflasterstein mit seiner schrundigen
Oberfläche, der nach Bauarbeiten an Brandenburger
Landstraßen übrig blieb und von der Geschichte seiner
Verwendung zeugte, geht eine „Schwer-Kraft“ aus, die
signalisiert, dass mit ihr zu rechnen ist. Das ist kein Stein, der sich
mit gleichgültigem oder leichtem Tritt aus dem Wege kicken
lässt, eher einer, der signalisiert: Überleg es Dir gut, ob
Du Dich mit mir einlassen willst. Diese Arbeit in ihrer ebenso
schlichten wie präsenten Gegenwärtigkeit kommt mir wie eine
Visualisierung jener Nachricht vor, dass zur Zeit mehrere Staaten
versuchen, im Meer unter dem Nordpol ihr Hoheitszeichen einzupflanzen,
um rechtzeitig ihre Claims abzustecken, wenn infolge des Klimawandels
das Eis über den Polkappen schmilzt und die darunter liegenden
Bodenschätze zugänglich werden könnten.
Sinskes zweite Arbeit – das „selbstgenügsame
Geschiebe“ – besteht aus einem weißen Quader, der
zwischen zwei aus gebrauchten Schieferdachplatten gebauten Schichten
gesetzt ist. Die weiße Glätte des Mittelstücks bildet
einen
reizvollen Kontrast zu den in Rhythmen gesetzten Dachplattenschichten, die eine strenge Geometrie im Querschnitt
verfolgen, in der wir eine Reihe von ineinander geschachtelten
Dreiecken erkennen. Die dünnen Schieferschichten wirken leicht,
erst das Mittelstück vermittelt einen optischen Eindruck von dem
wahren Gewicht. Dabei ist das „selbstgenügsame
Geschiebe“ über die scheinbare Bescheidenheit hinaus wohl
ironisch zu deuten – hier will etwas seinen Platz behaupten und
lässt sich keineswegs mal eben verschieben.
Wir entdecken hier also die Prinzipien von Sinskes Arbeit wieder, wie
wir sie auch schon an der „Poker-Zwinge“ im
Skulpturengarten kennen gelernt haben: Er verwendet Fundmaterialien
(Dachplatten, Pflastersteine) und verwandelt sie durch gezielte
Ergänzungen von selbst hergestellten Objekten (Guss-Sockel,
Zentral-Quader) sowie Hinzufügung von Materialien aus anderen
Zusammenhängen (Seil) zu Objekten von neuen, überraschenden
Aussagequalitäten. Dabei ist assoziatives Um-die-Ecke-Denken
durchaus erlaubt und ich glaube, sagen zu dürfen, bei HARRY R.
SINSKE sogar ausdrücklich erwünscht.
Ich möchte nicht schließen, ohne allen, die zum Gelingen
dieser Ausstellung beigetragen haben und durch fortwährenden
Einsatz die Weiterentwicklung des Projektes gewährleisten, zu
danken. Allen voran danke ich Monika Schulz und ihrem engagierten Team
dafür, dass ich jedes Mal, wenn ich hierher komme, immer was Neues
und immer sehr Schönes zu sehen bekomme und ich staune jedes Mal
neu, was hier alles geleistet wird. Ich hoffe, dass die Zehdenicker und
Ihrer Besucher dies angemessen zu würdigen wissen.
Fürs Zuhören danke ich Ihnen und wünsche ihnen viel
Freude beim Betrachten der Arbeiten. Ich freue mich riesig, dass wir
heute auch das richtige Wetter haben, um unseren Skulpturengarten in
der von uns gewünschten Form genießen zu können. Zur
Stärkung haben die fleißigen MitarbeiterInnen des Projektes
wieder ein Kuchenbüffet aufgebaut. Uns allen wünsche ich noch
einen heiteren Nachmittag mit anregenden Gesprächen beim Klang der
Windharfe unter unserer alten Magnolie. Dort können Sie auch die
neue Wasserschildkrötenanlage und das Insektenhotel bewundern,
dessen beide neue Abteilungen, „die Twin Towers“ genannt,
noch gestern fertig geworden sind.
Zehdenick, 24. September 2011
Dr.
Brigitte Hammer
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